Erzähl uns von Deinem emotionalsten oder lustigsten Erlebnis, das Du in Deinem Berufsalltag bisher erlebt hast.
Sina Widmer: «Ich betreute eine ältere Dame, welche an einer fortgeschrittenen Demenz litt. Sie war oft desorientiert und erinnerte sich nur selten an ihre Umgebung oder die Menschen um sie herum. Eines Tages hatte ich etwas mehr Zeit und entschied mich, mich ausführlich mit ihr zu beschäftigen. Ich setzte mich zu ihr und begann, alte Volkslieder zu singen, von denen ich wusste, dass sie sie in ihrer Jugend wie aber auch noch heute gerne hört. Zu meiner Überraschung begann die Dame nach einiger Zeit mitzusingen. Zuerst nur leise und zögerlich, aber dann immer sicherer. In ihren Augen konnte ich plötzlich ein Funkeln sehen, und für diesen Moment schien sie sich wieder ganz lebendig zu fühlen. Wir sangen zusammen einige Lieder und lachten sowie redeten gemeinsam. Sie erzählte mir sogar einige Geschichten aus ihrer Jugend, die sie sonst wohl nie erwähnt hatte.
Dieser Augenblick war unglaublich bewegend für mich. Es zeigte mir, wie wichtig es ist, sich Zeit für jeden einzelnen Patienten zu nehmen und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, auch wenn es nur kleine Gesten sind. Die Freude und Dankbarkeit in den Augen dieser Dame waren unbezahlbar und bestätigten mir einmal mehr, warum ich diesen Beruf so liebe.
Dieses Erlebnis und andere zeigen mir die emotionalen Höhen und Tiefen des Pflegealltags, aber auch, wie wichtig Menschlichkeit und Humor in unserer Arbeit sind. Solche Erinnerungen motivieren mich jeden Tag aufs Neue und geben mir die Kraft, auch in herausfordernden Situationen positiv zu bleiben.»
Nathalie Graf: In meinem ersten Praxissemester als Quereinsteigerin durfte ich einen älteren Herrn betreuen, der aufgrund eines Schlaganfalls an Sprachstörungen litt und einseitig gelähmt war. Mir wurde von Anfang an mitgeteilt, dass er nicht mehr sprechen kann und auch kaum mit seiner Mimik und Gestik kommuniziert. Anfangs fiel es mir sehr schwer mit ihm zu kommunizieren und herauszufinden, was seine Bedürfnisse sind und ob er sich bei mir wohl fühlt.
Ich ging jeden Tag mit neuer Motivation zu ihm und versuchte eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Ich nahm mir stets Zeit für ihn, passte meine Kommunikation an, indem ich ihm geschlossene Fragen stellte und langsam und deutlich sprach. Auch gab ich ihm Zeit auf meine Fragen zu reagieren und beobachtete dabei seine Mimik, insbesondere seine Augen. So konnte ich teils ablesen, ob er mit ja oder nein antwortete.
Eines Tages fing er an einzelne Worte zu sprechen. Die Worte waren verwaschen, aber mit viel Konzentration und Geduld lernte ich seine Worte zu verstehen. Ich spürte, dass zwischen uns eine vertrauensvolle Beziehung entstand und es war ein unglaublich schöner Moment, ihn sprechen zu hören. Auch seine Mimik veränderte sich. Er begann zu strahlen und konnte lachen. Es war für mich ein unbeschreibliches Gefühl. Es bestätigte mir, wie wichtig es ist, Geduld zu haben und vor allem auch sich Zeit zu nehmen für die Bewohnenden.
Ich durfte bereits viele schöne Momente in der Pflege erleben, das schätze ich sehr. Diese Momente geben mir Kraft und Motivation. Es bestätigt mir auch immer wieder, dass ich mich für den richtigen Beruf entschieden habe.
Was oder wer hat den Input gegeben, dass Du Dich für die Weiterbildung zur Dipl. Pflegefachfrau HF entschieden hast?
Sina Widmer: «Während meiner Lehre zur Fachfrau Gesundheit EFZ (FaGe) und meiner anschliessenden 2-jährigen Festanstellung wurde mir schnell klar, dass ich in der Pflege etwas verändern möchte. Selten erlebte, aber doch relevante Missstände wären in meinen Augen vermeidbar gewesen. Da ich schon immer ein Mensch der Tat war, habe ich mich für den Studiengang der Dipl. Pflegefachfrau HF entschieden.
Dieser Abschluss öffnet mir unglaublich viele Türen im Gesundheitswesen.
Zugute kam mir die Möglichkeit für FaGes, das Studium auf zwei Jahre zu verkürzen. Kurzerhand ergriff ich in meinem Betrieb die Chance, telefonierte mit der Fachstelle für Aus- und Weiterbildung der Stadt Winterthur und plante das weitere Vorgehen. Heute freue ich mich, auch andere Menschen für den Beruf der Pflegefachfrau zu inspirieren.»
Nathalie Graf: «Das erste Mal erhielt ich Einblick in die Pflege, als mein Onkel erkrankte und ich ihn gemeinsam mit meiner Mutter im Heim pflegte. Damals hatte ich gerade meine Ausbildung zur Detailhandelsfachfrau abgeschlossen. Ich überlegte mir, in die Pflege zu wechseln, fühlte mich jedoch noch nicht bereit. Einige Jahre später wurde mir klar, dass ich nie wirklich zufrieden in meinem Berufsalltag war.
Ich entschied mich für den Quereinstieg in die Ausbildung zur Dipl. Pflegefachfrau HF.
Ich habe schon immer gerne mit Menschen gearbeitet und wollte einen erfüllenden Beruf ausüben, der abwechslungsreich und ein wenig unvorhersehbar ist, und ich am Ende des Tages sehe, was ich geleistet habe. Dies habe ich in der Pflege gefunden. Es ist unglaublich schön, für Menschen da zu sein, Beziehungen aufzubauen und ihre Selbständigkeit, sowie bestmögliche Lebensqualität zu fördern und zu erhalten. Ich übe meinen Beruf mit meinem Herzen aus und darf so viel Dankbarkeit von Bewohnenden erleben. Das bestätigt mich immer wieder, für den richtigen Beruf entschieden zu haben.»
Welche Deiner persönlichen Stärken kannst Du im Berufsalltag gut gebrauchen?
Nathalie Graf: «…meine Ruhe und Empathie. Ich habe eine ruhige Art, nehme mir Zeit, und kann mich in die Bewohnenden einfühlen. Diese merken, ob ich gestresst bin oder nicht; das hat dann auch Auswirkungen auf ihr Verhalten. Die Bewohnenden äusserten oft, dass sie sich bei mir sehr wohl fühlen. Ich komme mit Ruhe stets ans Ziel.»
Sina Widmer: «…meine Empathie und Stressresistenz. Empathie hilft mir, die Bedürfnisse und Gefühle meiner Patientinnen und Patienten zu verstehen und darauf einzugehen. Besonders in schwierigen oder herausfordernden Situationen, wie etwa bei der Betreuung schwerkranker oder sterbenden Menschen, kann ich so ihnen und ihren Angehörigen durch meine einfühlsame Art eine optimale Unterstützung bieten bei welcher der Patient als Mensch eine zentrale Rolle spielt. Der Pflegealltag kann sehr stressig sein, insbesondere in Notfällen oder bei Personalmangel. Ich habe eine, in gesundem Ausmass ausgeprägte, Stressresistenz. Diese ermöglicht es mir, in hektischen und belastenden Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und trotzdem effektiv und effizient zu arbeiten, den Durchblick zu behalten und zu agieren.
Was würdet Ihr einer Person mitgeben, die sich für eine Weiterbildung zur Pflegefachperson HF interessiert?
Sina und Nathalie: «Wichtig sind, eine grosse Leidenschaft für die Arbeit mit Menschen sowie ein hohes Mass an Empathie. Wenn du Freude daran hast, anderen zu helfen und sie in schwierigen Lebensphasen zu unterstützen, Durchhaltevermögen mitbringst sowie eine gute Portion Belastbarkeit und Humor, dann meisterst du den Pflegealltag. Ein zentraler Bestandteil des Berufs ist die Zusammenarbeit mit ArbeitskollegInnen, ÄrztInnen und anderen Fachkräften, daher solltest du gute Kommunikationsskills besitzen und ein ausgesprochener Teamplayer sein. Du brauchst den Willen und die Neugier stets auf dem neusten Stand zu bleiben und dazuzulernen und dich einzubringen.»
Was bedeutet der Beruf in der Pflege für Dich?
Sina Widmer: «In der Pflege zu arbeiten bedeutet, jeden Tag einen Unterschied im Leben eines anderen zu machen.»
Nathalie Graf: «Einem Menschen zu helfen, mag nicht die ganze Welt verändern, aber es kann die Welt für diesen einen Menschen verändern.»